TOWNSCAPE

Die Wahrnehmung von Stadt und Umwelt ist seit circa drei Jahren immer wieder Thema meiner Arbeit. Im Zuge meiner Abschlussarbeit beschäftige ich mich nochmal gezielt mit der Wahrnehmung in der Stadt und setze mich nun auch theoretisch mit dem Thema auseinander.

Auf dem Spaziergang durch Downtown San Diego weckten die riesigen Wolkenkratzer, welche einen ganzen Stadtteil prägen, mein Interesse. Anmutig stehen sie in größeren Gruppen zusammen und bilden somit eine ganze Stadtlandschaft. Bei näherem Betrachten fielen mir die komplexen Spiegelungen in den Fassaden der Gebäude auf. Mich faszinierten die Formen, Verzerrungen und Momente, welche in den Spiegelungen entstehen. Fast schon malerisch kommen sie daher und bilden neue, unkonventionelle Bauten. Einmal erblickt, konnte ich auf nichts anderes mehr als die Spiegelungen achten. Es entsteht eine für mich völlig neue Welt. Ich nenne sie Townscape. Die Gebäude mit den perfekt verspiegelten Fassaden wirken auf den ersten Blick clean und unantastbar. Zusätzlich ausgestattet mit zahlreichen Überwachungskameras und Sicherheitspersonal bilden sie eine vermeintliche Abschottung ihrer Umwelt gegenüber. Zur gleichen Zeit drehe ich diese Situation um und richte meine Kamera auf sie. Dabei finde ich es interessant, dass sich die Gebäude ihrer Umgebung nicht entziehen können. All das, was sie umgibt wird demzufolge auf ihrer Fassade gezeigt. Aufgrund dessen entsteht eine neue Gestaltung der Fassade, die sich je nach Perspektive, Tageszeit und Witterung verändert.

Durch meine Arbeiten rücken sie nun in den Vordergrund und bekommen die nötige Aufmerksamkeit, die ich ihnen durch meine Kunst gebe. Mit meiner Kamera wähle ich also einen Ausschnitt aus dieser Stadtlandschaft, um dem Betrachter meine Sicht auf die Dinge zu zeigen. Dementsprechend zeige ich meine Interpretation dieser Stadtlandschaft. Mit meiner Arbeit möchte ich den Betrachter neu für seine Umwelt sensibilisieren. Ausgehend von meinen Fotografien sind einzelne Videos entstanden, welche meinen Blick nachahmen und damit dem Betrachter zeigen soll, was ich sehe. Der Blick ist dadurch vorgegeben und kann nur begrenzt selbst entscheiden. Ich ziehe den Betrachter somit hinein, in das Bild, in mein Gesichtsfeld, in meine Wahrnehmung der Stadt und lasse es ihn mit mir erleben. In der Zusammenstellung ergeben die einzelnen Videos eine Installation. Dadurch ist nichts dem Zufall überlassen, Blickwinkel und Abfolge sind vorbestimmt. Dies zieht sich in gleicher Weise durch meine gestalterisch – schriftliche Arbeit, welche diese Website darstellt. Auch hier bestimme ich zu einem gewissen Grad, in welcher Reihenfolge der Betrachter was sieht und somit wird er durch meine gesamte Abschlussarbeit geführt.

Im Folgenden werde ich auf die mir persönlich wichtigsten Autoren und ihre Texte eingehen, welche ich im Laufe meiner Auseinandersetzung mit dem Thema verwendet habe. Ausgehend von meiner künstlerisch visuellen Arbeit, habe ich mich mit verschiedenen Schriften von Architekten, Philosophen und Kulturwissenschaftlern beschäftigt. Aus dieser Beschäftigung ist ein Text hervorgegangen, der mit meiner visuellen Arbeit einher geht und Teil meiner Ausstellung geworden ist. 

Die Ausstellung beginnt mit einem Zitat von dem Stadtplaner Kevin Lynch, auf welches ich im Zuge meiner Recherchen gestoßen bin. Er verschriftlich in diesem Absatz das, worauf ich durch meine Kunst aufmerksam machen möchte. Genau wie Lynch bin ich der Meinung, dass in der Stadt zu jedem Zeitpunkt mehr vorhanden ist, als wir mit unseren Sinnen aufnehmen können. Das führt dazu, dass es immer etwas Neues zu erforschen gibt und es sich lohnt die Perspektive zu wechseln oder genauer hinzusehen. Zudem spricht er das Unmögliche an, etwas isoliert wahrzunehmen, weil alles im Zusammenhang mit seiner Umgebung steht. Betont wird also vor allem die Gleichzeitigkeit der vielen Dinge innerhalb einer Stadt und der Zusammenhang dieser. Dieser Aspekt ist Kern meiner Arbeit. 
Lynch präsentiert in seinem bekanntesten Werk The image of the city (1960) die Ergebnisse einer fünfjährigen Studie anhand von drei amerikanischen Großstädten. Dabei konzentriert er sich vor allem auf das Aussehen der Städte und auf die Wahrnehmungsform städtischer Umgebungen d.h. wie der Mensch Informationen über die Stadt aufnimmt. In der Umweltpsychologie hat das Werk deswegen einen wichtigen und dauerhaften Einfluss gehabt.

Des Weiteren habe ich mich mit dem französischen Philosophen Paul Virilio befasst, welcher sich in Die Auflösung des Stadtbildes Gedanken, über das Verschwinden der ehemals baulich klar definierten Grenzen von Großstädten macht. Durch meine Beschäftigung mit dem Text wurde die Frage, nach den Grenzen innerhalb der Stadtlandschaft inspiriert. Virilio spricht zudem die Veränderung der eingesetzten Materialien im Städtebau an, welche in meiner Arbeit eine zentrale Rolle spielen. Ohne die materialen Veränderungen von dem ehemaligen Mauerwerk hin zur ausschließlich aus Glas bestehenden Fassade, hätte meine Arbeit gar nicht erst entstehen können.

Abschließend möchte ich noch auf den Architekten Gordon Cullen eingehen, welcher mit seiner neuen Methodik für die visuelle Analyse und Gestaltung von Städten ein wichtiger Vertreter der Townscape Bewegung war. Mit seinem 1961 erschienenen Buch Townscape beeinflusste er zahlreiche Architekten. Seine Methodik basiert auf der Psychologie der Wahrnehmung d.h. er integriert bewusst die menschliche Wahrnehmung in den Planungsprozess. Dadurch definiert er die Stadtlandschaft neu, wobei ihm Beziehungsqualitäten zwischen den einzelnen Räumen besonders wichtig sind, um das visuelle Erlebnis im Stadtraum zu steigern. Da ich mich intensiv mit dem Zusammenbringen von Gebäuden und der Interaktion dieser untereinander beschäftigt habe, war es sehr spannend dies aus stadtplanerischer Sicht zu beleuchten. Sein Werk hat ebenso den Titel meiner Abschlussarbeit inspiriert.

Als Ergänzung möchte ich die KünstlerInnen Renate Buser, Mårten Lange, Andreas Gursky, Yayoi Kusama und Wolfgang Tillmans nennen, welche ich schon seit geraumer Zeit verfolge, sehr spannend finde und mir als Inspirationsquelle dienen.

Zu Beginn möchte ich Renate Buser erwähnen, welche ich aufgrund ihrer außergewöhnlichen Präsentationsformen sehr spannend finde. Sie setzt sich mit der Gegensätzlichkeit von Innen- und Außenraum und perspektivischen Verschiebungen und Umkehrungen innerhalb der Architekturfotografie auseinander. Der Innenraum der Gebäude erscheint also auf der Fassade und umgekehrt, was ebenfalls zur Frage der Grenze führt. Besonders interessant finde ich die Arbeiten, welche sie im öffentlichen Raum platziert und somit mit Passanten und auch der Stadt interagieren. Sie arbeitet also meist mit dem Gegenstand/ Gebäude, auf dem die Arbeit auch gezeigt wird. Die Perspektiven verschieben sich und die Fassade wird durch ihre Arbeiten erweitert. 

Auf Mårten Lange bin ich zufällig durch seine Publikation The Mechanism 2017 gestoßen. Es handelt sich um eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotografien, welche das zeitgenössische Leben in der Stadt abbilden. Besonders ansprechend finde ich die Bildabfolge im Buch, da sich Aufnahmen von Stadtlandschaften mit extremen Nahaufnahmen abwechseln. Technologie, Überwachung und Stadtgesellschaft sind zentrale Themen seiner Arbeit. Interessant zu sehen ist, dass er immer wieder ähnliche Formen zeigt und auch wenn der Gegenstand ein anderer ist, die Bildsprache gleichbleibt. Außerdem ist auch hier die Interaktion der Gebäude innerhalb des Stadtbildes deutlich als Thema zu erkennen.

Des Weiteren beeindruckt mich Andreas Gursky immer wieder mit seinen außergewöhnlichen Großformaten. Vor allem seine Arbeit May Day V 2006, welche während der jährlichen Techno Party May Day in Dortmund entstanden ist, finde ich spannend. Durch die Aufnahme bei Nacht und die Beleuchtung des Innenraumes, sieht man den Innenraum des Gebäudes sehr detailreich. Somit zeigt diese Arbeit im Gegensatz zu meiner, was passiert, wenn der Blick in das Innere des Gebäudes freigegeben ist. Das Werk Paris – Montparnasse 1993 beeindruckt durch die monumentale Fassade was in seiner Größe und Fläche sehr eindrucksvoll ist. Bei näherer Betrachtung ist ein außerordentlicher Detailreichtum hinter den Fassaden zu erkennen.

Abschließend möchte ich noch Wolfgang Tillmans erwähnen, wobei mich vor allem seine 2017 in der Fondation Beyeler stattgefundene Einzelausstellung beeindruckt hat. Seine Bandbreite an Themen und fotografischen Mitteln in den Arbeiten sowie seine verschiedenen Präsentationsformen der Arbeiten haben einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Außerdem sehr spannend ist das Gespräch zwischen dem Architekten Rem Koolhaas und Tillmans im Zuge seiner Arbeit Book of Architects 2014. Diskutiert wird vor allem die Relevanz des Architekturdesigns für unser tägliches Leben. In einem weiteren Interview gibt Tillmans über die auf der Architekturbiennale 2014 gezeigte Arbeit preis, dass das Hauptgefühl was er vermitteln möchte, das Gefühl der Gleichzeitigkeit von Dingen innerhalb einer Stadt sei und im Detail auch die Interkation mit benachbarten Gebäuden meint. Aus diesem Grund kann ich mich in Hinblick auf meine Arbeit gut mit seinen Arbeiten identifizieren.

Die Beschäftigung mit den genannten Künstlern, Architekten und Philosophen hat mir gezeigt wie vielfältig und komplex das Thema ist und aus wie vielen verschiedenen Perspektiven es beleuchten werden kann.

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