Menschen nehmen ihre Umwelt mit all ihren Eigenschaften und mit allen zur Verfügung stehenden Sinnen wahr. Der visuellen Wahrnehmung wird dabei eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Sehen ist ein instinktiver Prozess. Was wir sehen und wie wir etwas sehen wird von unserem Gehirn individuell bestimmt. Unsere Wahrnehmung wird also durch unsere Erfahrungen und Erlebnisse gefiltert (BELLEBAUM et al. 2012, 31). Unser Sehvermögen beruht auf Augenbewegungen, welche zum Teil unbewusst als auch bewusst ablaufen. Mit dem Blick tasten wir instinktiv unsere Umgebung ab. Dieser Blick ist es auch, der ein Objekt aus unserer unmittelbaren Wahrnehmung ins Visier nimmt und näher betrachtet. Die Wahrnehmung funktioniert dabei nicht linear, sondern vielmehr fragmentarisch, in Rastern und ist mit unseren persönlichen Erlebnissen und Interessen vermischt (LYNCH 1965, 10f.).
In der Stadt wird der Mensch mit einer rundum bebauten Umwelt konfrontiert. Es entsteht ein besonderes Verhältnis zwischen Mensch und Stadt, da sie sich gegenseitig nie einander entziehen können. Ausgehend davon stellt sich die Frage ob und wenn ja, wie der Mensch über die Stadt nachdenkt. Das Stadtbild zu betrachten bringt für unsere visuelle Erfahrung ein größeres Vergnügen als einzelne Gebäude isoliert anzusehen. Denn das Zusammenbringen von Gebäuden ermöglicht die Kunst der Interaktion. In der Gruppe entstehen Zusammenhänge zwischen den Gebäuden und ihrer Umgebung, was für das isolierte Gebäude unmöglich wäre (CULLEN 1961, 7f.).
Die meisten Städte sind aus älterem Fundament. Hinzu kommt die moderne Architektur. Dadurch werden mehrere architektonische Stile miteinander vermischt. Verschiedenartige Materialien und Größenverhältnisse treten in Interaktion. Die Kunst der Städteplanung ist ein fortlaufender Prozess, welcher zu keinem Zeitpunkt als abgeschlossen bezeichnet werden kann. Lediglich eine Aufeinanderfolge von verschiedenen, sich ablösenden Phasen kann beschrieben werden. Die Stadtplanung ist zudem jeder Witterung und Tagesbeleuchtung ausgesetzt, wodurch die Impression des Stadtbildes stark variiert (LYNCH 1965, 11). Der Wandel des Stadtbildes spiegelt die besondere Dynamik in der Stadt wider. Meist ist der Anblick der Stadt alltäglich. Er muss auch nicht augenblicklich großartig und augenfällig sein, um ein besonderes visuelles Vergnügen zu bereiten (LYNCH 1965, 21). Durch kontinuierliche Achtsamkeit kann das Auge trainiert werden, um verborgene Formen und Wechselwirkungen innerhalb der Stadt sehen zu lernen. Eine neue Bedeutungsebene wird dadurch eröffnet.
Die Frage, ob großstädtische Ansiedlungen überhaupt noch eine Fassade besitzen stellte sich schon Paul Virilio. Am Bau treten zunehmend tragende Strukturen aus Materialien wie Glas auf, welche das ursprüngliche Mauerwerk ersetzen (VIRILIO 1984, 261). Trotzdem nimmt die Transparenz der Fassaden nicht zu. Ganz im Gegenteil ist der Innenraum der Gebäude durch die zusätzliche Verspiegelung der Glasfassaden von der Außenwelt abgeschnitten. Es macht den Anschein die Gebäude würden sich vor der Stadt verschließen wollen. Auf ihrer Fassade spiegeln sich dessen ungeachtet die umliegenden Gebäude, wodurch sie in ständiger Interaktion miteinander stehen. Sich ihrer Außenwelt zu entziehen ist somit unmöglich.
Doch wo wird nun die Grenze gezogen? Die Ebene der Gebäude, der Außenwelt und des Innenraumes verhalten sich interaktiv zueinander. Es verschwinden Positionsunterschiede, was zur Desorientierung im Raum führt. Die architektonischen Elemente beginnen sich ziellos in einem dimensionslosen Milieu zu bewegen (VIRILIO 1984, 262).
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